Seit Jahren lagert alles in diesem verstaubten hölzernen Regal. Ein paar Kanister, Dosen und Kannen in einem alten Mühlengebäude, in dem nur noch wenig übriggeblieben ist von den Mahlwerken, der Mechanik, den Mehlbehältern. Die Industrialisierung ist weiter gezogen. Zurück geblieben ist ein Konglomerat aus Bauten unterschiedlichster Größe: Getreidespeicher, Transformatorenhaus, Schuppen, Werkstatt, Wohnhaus, sonstige Haupt- und Nebengebäude. Roter Ziegel. Holz. Eisen. Blech. Rost. Jeder kennt solche Schnittstellen zwischen Technik und Natur. Ich liebe diese Orte. Sie wirken oft wie große Skulpturen, zusammengewürfelt, eingewachsen, verfallen, überwuchert.
Die Zeit ist stehengeblieben. Stillstand.
Es ist ein besonderer Ort, hier am linken Niederrhein in der Nähe von Goch. Die Viller Mühle. Im Innern hat Heinz Bömler eine ganz eigene Welt zusammengetragen, hat die Lager und Hallen, die Zimmer und Stockwerke bis unters Dach gefüllt mit all dem, was andere zurücklassen, wenn sich das Leben verändert. Gerettet, was als unbrauchbar weggeworfen wurde. Die Welt der obsoleten Dinge. Unsere Vergangenheit. Alles ist aufgeladen mit Erinnerungen, eine Arche unserer Alltagswelt. Diese Fülle an Spielzeug, Kostümen, Jahrmarktfiguren, Apotheken- und Ladeneinrichtungen, alten Produkten wie Waschmittel, Nähgarnen, Plakate, Puppen überwältigt mich. Die Fülle zeugt von der Geschwindigkeit, mit der sich unsere Welt in wenigen Jahrzehnten ändert. Virilios Begriff vom Rasenden Stillstand findet hier seinen bildhaften Ausdruck.
Vielleicht war das der Grund, dass ich mir ausgerechnet einen Raum ausgesucht habe, der fast leer war. In dem die Zeit bis heute still steht. Ein kleiner Raum, ganz oben, neben der eisernen Wendeltreppe. Eine eiserne Tür, ebenso verrostet. Und ein hölzernes, grobes Regal, in dem Schmiermittel und Desinfektionsmittel zurückgeblieben sind. Kannen, Kanister und Dosen aus Blech, verbeult, verrostet, verstaubt. Ein paar Werkzeuge. Und viele alte Treibriemen aus Leder, aufgerollt, abgelegt, aufgetürmt, um sie später vielleicht noch verwenden zu können. Sie erinnern an die Mühlräder, Schütten und Antriebswellen, die sich über die Stockwerke erstreckten und das Hauptgebäude durchzogen. Nichts Spektakuläres. Ein dunkler Raum. Ein kleines Fenster. Eine nackte Glühbirne. Nein, eine moderne Sparleuchte. In dieser Dämmerung aus gelbgrünstichigem Kunstlicht und blaukaltem Tageslicht fand ich lauter Kompositionen aus Material, Formen und Farben. Die Gefäße, achtlos abgestellt, zuerst nur in zufälligen Konstellationen, erinnerten mich an die Gemälde von Giorgio Morandi. Faszinierend. Und die aufgerollten Riemen aus Leder brachten ebenfalls ihre eigene Architektur mit, türmten sich auf zu kleinen Skulpturen, die sich wunderbar im Bildraum des Quadrats komponieren ließen. Ich bin ein zweites Mal zurückgekehrt, um in Ruhe und mit Stativ fotografieren zu können. Mit dem Display meiner kleinen Kamera, Canon G1X, konnte ich ein paar Stunden konzentriert arbeiten und Proportionen, Farben, Kontraste, Volumina und Leerräume komponieren. Auch für mich blieb die Uhr stehen. Ruhe. Denkpause. Stillstand. Stilles Stehen. Verstehen.