Venice

Venedig. Eine Flut von Bildern, die den eigenen Blick hinwegschwemmen kann. Keine Stadt wird  intensiver fotografiert, gefilmt, gemalt. Kann es in dieser Menge publizierter Bilder und der unendlichen Masse von Touristen noch ein eigenes Erleben geben? Zu zweit ja. So wie wir während zweier Reisen im  März 2009 und 2011. Wir sehen. Wir hören. Wir riechen. Wir fühlen. Wir schmecken. Wir leben.

Warum immer wieder Venedig? Venedig weckt Gefühle. Spricht uns an mit ihrer Schönheit. Beeindruckt uns durch ihre Architektur. Zeigt uns ihren Reichtum, ihren Glanz, ihre Kunst. Und überwältigt uns an jedem Ort mit ihrer Geschichte. Verführt uns zur Romantisierung der Vergangenheit. Worin liegt die besondere Faszination dieser alten Stadt?

Ich erinnere mich an ein Gedicht, das ich um 2005 in der Auseinandersetzung um Denkmalschutz, Rekonstruktion und Authentizität geschrieben hatte:

 

Alte Stadt

Es ist nicht die Vergangenheit, die uns fasziniert,
sondern die Vergänglichkeit, die uns herausfordert.
Die Vergangenheit ist tot.
Die Hoffnung liegt im Verfall
denn dieser wenigstens hat Zukunft.

In der Wahrung des Bestandes
geht es nicht um das Festhalten der Vergangenheit,
sondern um die Lust des Daseins
zwischen Beständigkeit und Vergänglichkeit.
Ohne Leben keine weitere Geschichte.
Was also wird wirklich gebraucht?

Die Erinnerung trügt. Immer.
Die konservierten Bauten der Geschichte helfen uns, uns selbst zu belügen –
nicht mehr oder weniger als die wiedererrichteten Rathäuser, Schlösser oder Kirchen.
Aber ohne Lügen wäre die Wahrheit unerträglich.
Wir sind unbelehrbar.

Also zeig mir bitte schöne Bilder von der zukünftigen Vergangenheit:
Voller Verfall, voller Brüche, voller Geschichten, voller Lügen.
Dort möchte ich leben.
Hier. Und Heute.
Die Wahrheit
werde ich selbst finden.

 

Ich kenne keine andere Stadt, die so überzeugend unsere Lust am Dasein zwischen Beständigkeit und Vergänglichkeit beantwortet. Denn wir fühlen angesichts der Kreuzfahrtschiffe und Touristenströme die Konfrontation mit einem Heute. Die Maßstabsbrüche. Den Ausverkauf. Wir wissen um die Fragilität einer Stadt, der das Wasser sichtbar bis zum Halse steht.

Gleichzeitig beeindruckt sie uns mit ihrem besonderen Licht, dem Wasser und dem Sfumato als Weichzeichner. Und vor allem ihrer gelassenen Ruhe. Ohne die Hektik des Verkehrs, wie wir ihn sonst gewöhnt sind. In den kleinen Seitengassen, an den Rändern, erleben wir außerhalb des Tourismus auch ein einfaches Alltagsleben. Auf engem Raum. In beneidenswertem Miteinander. Oder habe ich mir das nur eingebildet?